AUORA
Ryszard Różanowski

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, anno 1600, erfuhr der am Neißer Tor in Görlitz wohnhafte, 25jährige Schuster Jacob Böhme ein überraschendes, mystisches Gefühl. Der "joviale Schein" an einem Zinngefäß in seiner Werkstatt, das "göttliche Licht" führte ihn hin "zu dem innersten Grund oder Centro der geheimen Natur", wie der erste Böhme-Biograph, Abraham von Franckenberg, schreibt. Die Betrachtung des Licht-Schatten-Spiels mündete in der Überzeugung vom Kampf der gegensätzlichen Mächte und weiter in einer tieferen philosophischen Reflexion. Diese führte Böhme zu der höchsten Bewusstseinsform, die das "vorweltliche Chaos" mit seinem Kampf der Gegensätze, die er auch als "contraria" oder "Gegenwürfe" bezeichnet, in einem "ewigen Spiel in der unendlichen Einheit", in "Einheit von Ja und Nein", in "Einheit von Gut und Böse" überwindet. Diese Erfahrung hat das Leben des Görlitzer Meisters nachhaltig verändert. "Neben seiner Berufsarbeit, auch etwa in den Nachtstunden" hielt er sie nach zwölf Jahren in der Schrift Morgenröte im Aufgang fest, später dank Balthasar Walther, dem weltbewanderten Gelehrten und Kenner der Geheimlehren aus Glogau, besser bekannt unter dem Titel Aurora. Das vom Oberpfarrer Gregor Richter und dem Görlitzer Stadtrat gebrandmarkte Werk geriet in Abschriften in Umlauf und gewann zahlreiche Anhänger. Um mehr Spielraum bei der Erfüllung seiner Mission zu bekommen, um besser "Gott und seinen Brüdern zu dienen", verkaufte der Autor 1613 seine Schusterbank und nahm zusammen mit seiner Frau den Zwirnhandel auf.
Mit seiner späteren Tätigkeit, übersät von inneren Konflikten und von Anfeindungen durch seine Gegner, mit seinen in größter Konzentration und Abgeschiedenheit nacheinander entstandenen Büchern, hat er nachhaltig die originäre mystische, intellektuelle und emotionale Landschaft geprägt, die heutzutage als "schlesische Geistigkeit" bezeichnet wird. Trotz der Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges erblühte diese Geisteslandschaft und wurde neben Böhme auch von jüngeren Autoren gestaltet – etwa von Johannes Scheffler, bekannt als Angelus Silesius, und dem Schweidnitzer Dichter Daniel Czepko von Reigersfeld. Die Lehre des frommen Schusters verbreitete sich in ganz Schlesien und fand viele Gleichgesinnte. Sie inspirierte Philosophen und Theologen, Mystiker, enthusiastische Spiritualisten, Okkultisten, Schriftsteller und Dichter. Zu Böhmes Geistesverwandten zählt sicherlich Johann Wolfgang von Goethe. Auch Adam Mickiewicz war von Böhmes Gedankengut beeinflusst; 1852 äußerte er gegenüber Aleksander Chodźko: "Von den neueren Mystikern der Größte".
Auch das Schaffen von Łukasz Huculak steht in dieser Denktradition. Die in der Ausstellung präsentierten Arbeiten sind nicht als Illustration oder malerischer Kommentar zu Böhmes Werk entstanden. Sie betreffen aber die Gedanken und Visionen des berühmten Görlitzers, begünstigt durch den genius loci seiner Heimatstadt. Auch wenn Huculak sich nur kurz mit dem Werk Böhmes beschäftigte, war der Künstler schon immer fasziniert von geheimnisvollen Elementen der Wirklichkeit, vom Grenzgebiet zwischen Wissenschaft und Esoterik. In vielen ihn interessierenden Bereichen wie Mystik und Magie, Mnemotechnik und Emblematik, Metaphysik und Idealismus, die Philosophie der Renaissance und späterer Zeiten sieht Huculak gemeinsame Nenner mit der Thematik eigener Arbeiten. In der Tat hat seine Vorstellungskraft, nimmer müde auf der Suche nach correspondances zwischen Ideen und Emotionen auf der einen und Bildern auf der anderen Seite, unterstützt durch seine umfassende Bildung, Gelehrsamkeit und kulturelle Kompetenz, durch seine beeindruckende intellektuelle und künstlerische Disziplin, die geistige Welt des Philosophen längst gezähmt, bevor die Idee zu der Ausstellung entstand. Die drei präsentierten Bilderzyklen gehen weit über das Illustrative hinaus.
Es verwundert nicht, dass Huculak die Morgenröte im Aufgang für sich entdeckt hat. Es genügte, auf die früheren Arbeiten, auf die seit Langem dokumentierten und idealisierten Landschaften und Innenräume, Figuren und Gegenstände zuzugreifen und sie die Rolle spielen zu lassen, die ihnen in Böhmes Gedankenwelt zufällt. In der Mystik des Görlitzer Schusters gibt es keinen Platz für Zerrissenheit, für Zwiespalt in der Wirklichkeit. Fremd ist ihm auch eine geschlossene, Subjekte und Objekte abgrenzende Identität. So richtet er seine Aufmerksamkeit nicht nur auf Gott. Der Philosophus Teutonicus geht weiter, zur "Kosmosophie", also zur umfassenden Erkenntnis von Welt und Natur, und auch zur Erkenntnis des Menschen. Theosophie, Kosmosophie und Anthroposophie bilden eine Einheit. Der spiralförmigen Sequenz von Bildern und Gedanken, so charakteristisch für Böhmes Denk- und Schreibstil, entspricht die Repetition der Motive in Huculaks Arbeiten. Ihre starke, magnetische Form fügt sich in die Konvention der metaphysischen Malerei ein, bringt aber zugleich etwas Neues mit sich, etwas Ungewöhnliches und Geheimnisvolles. Illusionistische Darstellungen von Wirklichkeitsausschnitten, Zeichen des metaphysischen Alphabets von Giorgio de Chirico weichen hier abstrakten, organischen, mit Helldunkel zur Verstärkung des gewünschten "realistischen" Effekts modellierten Formen. Die von Huculak kreierte Welt ist sehr sinnlich, in jeder ihrer Formen ausschließlich sich selbst ähnlich, "in gewissem Sinne einzeln", "geheimnisvoll und bedrohlich", wie kurz nach einer kosmischen Katastrophe dargestellt. Seine undefinierten, grenzen- und zeitlosen Räume mit fantastischen, dunklen Landschaften oder auch die, teils mit überraschenden Architekturelementen differenzierte, karge Leere widersprechen nicht der in seiner Malerei unter dem Schleier der Abstraktion versteckten mimetischen Intention. Der Künstler lässt die Koexistenz des Imaginären und des Wirklichen, des Geistes und der Materie, zu. Er widersetzt sich der voreiligen Dematerialisierung der Wirklichkeit, wie sie sowohl der Wissenschaft als auch der Vernunft widerfährt. Deswegen greift er – wie in seinem früheren Zyklus Hypostasen – zum fotografischen Dokument als einem Prototyp der Realität. Indem er aber das Sehen erforscht, die sinnliche Betrachtung an der Grenze des Sichtbaren – was sein Werk in Richtung selbstreflexiver Metamalerei rückt – verleiht er dieser Wirklichkeit zugleich einen hypothetischen Charakter, formt sie zu einer "subjektiven und unsicheren Vermutung". Ähnlich wie der von ihm verehrte Bischof Berkeley verabsolutiert er das Sehen, das Betrachten, die sinnliche Erfahrung. Dies bedeutet, dass der Künstler, indem er Schicht um Schicht weitere, tiefere Strukturen einer instabilen und unvorhersehbaren Welt offen legt, gleichsam im Schwebezustand zwischen den konkreten, sinnlichen Formen und den Konstruktionen des Geistes bleibt – und mit ihm der Betrachter seiner Arbeiten. Huculaks Bilder sind also voll von Gegensätzen. Auch er selbst scheint, wie Diderots "Rameaus Neffe", die Verkörperung des Gegensätzlichen zu sein. "Ich bemühe mich", so Huculak, "möglichst viele Kräfte aus dem Bereich außerhalb meiner Kontrolle freizusetzen und den rationalen Eingriff einzuschränken". Gleichzeitig betont er aber, dass "der Künstler darüber entscheidet, was er zeigt und was er versteckt, was stehen bleibt und was er übermalt".
Auf diese Art und Weise stellt sich Łukasz Huculak dem brisanten Problem (Kantschen Ursprungs, seinerzeit revitalisiert von Jean-François Lyotard), das Undarstellbare darzustellen und das Unausdrückbare auszudrücken. Böhme war lange Zeit außerstande, jenes, was ihn "gleich einem verborgenen Feuer" erfüllte und bewegte, auszudrücken, künstlerisch zu bearbeiten oder anderen Menschen weiter zu geben. Dieser "erste deutsche Philosoph", wie ihn Hegel nannte, bediente sich nicht methodischen Denkens, nach dem sein Zeitgenosse Descartes verlangte. Die mehrdeutigen und interpretationsbedürftigen Bilder, die Böhmes Gedanken und Schriften so lebendig machen, lassen sich nicht in eindeutig definierte und präzise formulierte Begriffe übertragen. Bei Huculak kann man von einem Misstrauen gegenüber ganzheitlichen Doktrinen und ihrer einfachen, unmittelbaren Übertragung in visuelle Formen sprechen. Wenn er die Arbeit an einem Bild beginnt, hat er keine präzise Vorstellung. Auch das Ergebnis ist eher eine Art Gefühl, das das Bild hervorrufen soll, als ein konkretes visuelles Konstrukt. Ein Bild ist für Huculak ein "Ding, das die Erfahrung von etwas aufnimmt, ausstrahlt und ermöglicht". Dieses Etwas nennt er für den Eigengebrauch ein "metaphysisches Gefühl". Metaphysik fehlt in der zeitgenössischen Kunst. Das sicherlich empfundene Bedürfnis, alles von Anfang an zu beginnen, zu bauen, die Welt aufs Neue zu denken, zu erfinden, hinterfragt der zweifelnde Künstler klug und ehrlich: "Ist es überhaupt möglich, ein Ding zu schaffen, das imstande ist, metaphysische Emotionen zu übertragen? Können Bilder solche Energie immanent besitzen?". Er erwartet das Unerwartete und lässt letztendlich das "von jeder Intention befreite Material" sprechen. Denn die ungewöhnlichen Bewusstseinzustände – Gedanken, Gefühle, Obsessionen – lassen sich nur durch Bilder entdecken. Der Künstler zwingt den Betrachter zur Dechiffrierung einer Natursprache, die sich der Kompetenz der weisesten doctores entzieht und neue Rätsel aufwirft. Seine Bilder kann man als meditative Arbeiten betrachten. Sie sind keine "Schnappschüsse", sondern Ausgangspunkte und Ziele von Prozessen, die im Betrachter ausgelöst werden - auch für Böhme war der Menschen derjenige, der die Wirklichkeit mitbestimmt. Jede einzelne Darstellung fordert zur Reflexion und Meditation auf.
Wie offenbart sich in dieser Malerei das Böhmsche centrum naturae? Huculaks Welt ist verschwommen, dunkel und grau. Immer wieder wird sie unterbrochen durch unwirklich erscheinende, den Raum definierende Menschengestalten, durch aus dem Nichts erscheinende Arme und Hände, die wie in der ägyptischen Hieroglyphenlehre Stütze, Kraft, Geben und Mühe bedeuten, durch einfache geometrische Figuren, die wie Anspielungen auf Platonsche Reflexionen oder auf suprematistische Kompositionen von Malewitsch wirken. Es ist dies schließlich eine Welt der vereinheitlichten, gewöhnlichen Dinge, die ihre geheimnisvolle Präsenz zur Schau stellen, obwohl "es sie auch nicht geben könnte". Huculak ist, ähnlich wie Böhme, visuell veranlagt. Er möchte zu der ursprünglichen, elementaren, sinnlichen Erfahrung gelangen, die sich einfach ereignet, die an die "natürliche" Abstraktion grenzt. Durch die Betrachtung gelangt er zur Vision, überschreitet die Schwelle des Bewusstseins, findet in den reellen Ereignissen und Gegenständen etwas Inneres, will in figurativen Szenen das zeigen, was sich nicht zeigen lässt – die mystische Erfahrung und "Ekstase". Das Erlebnis, welches bei Böhme der "lieblich joviale Schein" am Zinngefäß verursachte, nannten die antiken Griechen ekstasis und verstanden darunter das Verlassen des Alltagsbewusstseins. Der Zustand der Erleuchtung, in dem sich der philosophus teutonicus viele Jahre befand (auch wenn "nicht immerdar beharrlich"), führte ihn zur übersinnlichen Wirklichkeit, zur "Tiefe über der Erde", die lediglich mit den "Augen des Geistes" zu sehen ist. Lässt sich dies darstellen? Lässt es sich verstehen? Huculaks Figuren verharren in Unbeweglichkeit, auch die in einer rituellen, anflehenden oder betenden Geste dargestellten Gestalten sind erstarrt. Träge Körper schweben beinahe über der Oberfläche der Bilder und driften gleichzeitig in einen endlosen Abgrund. Ähnlich wie im Gedicht "Fotographie vom 11. September" von Wisława Szymborska: "Sie sind immer noch im Bereich der Luft, / im Umkreis jener Stellen, / die sich soeben geöffnet haben." Das ist eine malerische Darstellung des Menschen. Das Festhalten eines Moments muss einhergehen mit seiner Öffnung zur allumfassenden Einheit der Vielfalt. Der Mensch als Mikrokosmos, als eine "kleine Welt", angeschlossen an das große Ganze des Weltalls, sieht sich Dinge an und entdeckt ihr Innenleben, in ihnen findet er seine eigene Identität bestätigt. Huculak ist sich dieser Dialektik bewusst. In seiner früheren Schaffensphase von Chardin und Giorgio Morandis "Metaphysik der einfachen Dinge" fasziniert, integriert er Stillleben und architektonische Details in seine Arbeiten. Ihren Umfang reduziert er auf ein Minimum, vereinfacht die Form. Durch den Kontrast zu der von den Niederländern der Gegenreformationszeit so beliebten überbordenden Üppigkeit und Fülle des Sichtbaren, nähert sich Huculak der Banalitätsgrenze. Er engt die Farbvielfalt ein: "Die Intensität, die Reinheit der Farbe stimmt mich misstrauisch […], entfernt von der Wirklichkeit, reduziert die Greifbarkeit, den Realitätsbezug." Diese "Greifbarkeit" wird durch beinahe skulpturartige Struktureffekte an der Oberfläche des Bildes intensiviert. Dadurch gelingt es dem Künstler, paradoxerweise und entgegen der Zeitlosigkeit seiner Arbeiten, auch die Vergänglichkeit darzustellen (in der Ausstellung insbesondere durch die symbolträchtigen Schädel), zu zeigen, dass sich "die ganze Materie ihrem Untergang nähert". Nur ein Mystiker schafft es, diesen Teufelskreis der Widersprüche und Gegensätze aufzubrechen. Nur ein mit besonderer Sehfähigkeit und ausgeprägtem Scharfsinn ausgestattetes Individuum ist imstande, geheime Aspekte der Dinge zu entdecken. Wer, wie Paracelsus es bezeichnet, die signatura rerum, die Symbole und Zeichen der Dinge kennt, der wird ihre Sprache verstehen. Um dieses Wissen weiter geben zu können, bedient sich Huculak einer der Wortwörtlichkeit fernen Symbolik. Nach Böhmes Botschaft aus einer der späteren Schriften tendiert alles Verborgene zur Offenbarung: "Und ist kein Ding der Natur, das geschaffen oder geboren ist, es offenbart denn seine innere Gestalt auch äußerlich, denn das Innerliche arbeitet stets zur Offenbarung […]. Darum ist in der Signatur der größte Verstand, darinnen sich der Mensch nicht allein lernt selber kennen, sondern er mag auch darinnen das Wesen aller Wesen lernen erkennen".
Franz Xaver von Baader, ein Münchener Philosoph und Theologe, der sich selbst die Rolle als "Testamentvollstrecker" des Gedankengutes Böhmes zugeschrieben hatte, stellte seinerzeit fest: "Wenn Sie einmal mit Böhme gut vertraut sind, so werden Sie finden, dass er der ganzen Weltzeit voran gelaufen, dass er alles Wissen dieser Welt, freilich in der Enge, enthält". Zu Łukasz Huculak passt die Bezeichnung, mit der August Wilhelm Schlegel seinerzeit von Baader beschrieb: "Böhmius redivivus". Baader pflegte zu sagen: "Mein Meister Jacob Böhme" und fügte hinzu, dass er nur den Saum seines Mantels berühre. Auch Huculak scheint diesen Mantel der Materie zu berühren.