FLAMMARION
dr Isabelle Schwarz

Mit Flammarions berühmtem Holzstich aus anonymer Hand, 1888 in der dritten Ausgabe des vom französischen Astronom Camille Flammarion (1842-1925) verfassten Buches "L'atmosphere. Meteorologie populaire" publiziert, ist ein Bild für den Wunsch des Menschen gefunden, das Dasein zu hinterfragen und das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Der Mensch, umfangen und eingebettet in eine Natur und den Kreislauf der Gestirne, durchbricht mit seinem Kopf die Himmelskuppel und streckt die Hand nach dem Unbekannten in die Höhe. Als Idee von etwas, das der greifbaren, unmittelbaren Realität und Erfahrung entrückt ist, erhalt dieses Unbekannte eine neue Bedeutung.
Eine andere, hinter den Dingen liegende Welt könnte die von Łukacz Huculak sein, an der er in seinen Gemälden und Arbeiten auf Papier unaufhörlich fortschreibt. Mit verändertem Standort lässt sie eine neue Perspektive auf die Wirklichkeit zu. Zwar sucht er sich Sujets und Motive, variiert oder modifiziert sie, doch ist es bemerkenswert, dass er diese stets in jener Welt verortet, die er selbst erschaffen hat.
Der 1977 in Rzeszow in Polen geborene Künstler arbeitet im Medium der Malerei. Dabei bedient er sich auch schon einmal extremen Querformaten, arbeitet tendenziell en miniature und mit einer abgetönten Farbpalette in Ol oder Tempera auf Leinwand oder Papier. Seine Werke zeigen vorwiegend Landschaften, in denen nach zentralperspektivischer Maßgabe angelegte Architekturen und einzelne skulpturale Elemente aus unterschiedlichsten Kontexten – Natur, Kultur, Alltag – ihren Platz finden. Vom flächigen Vordergrund ausgehend kann sich eine spröde, karge Ebene zu Hügeln und Bergketten im Hintergrund ausweiten. Hingegen verhindert Mauerwerk in manchen Werken den Blick in die Tiefe. Inmitten dieser Umgebungen agieren Menschen oder macht sich eine Menschenleere breit. Eine frühe Gruppe von Werken ist dem Genre des Stilllebens verpflichtet, sie fokussiert auf irdene Schüsseln und Krüge, die ebenso zurückgenommen wie präsent auf langgezogenen oder weiten Tischen mit zarten Beinen stehen, oder auf altmodisch anmutendem Schmuck, leuchtend vor schwarzem Hintergrund.
In der Zusammenschau der einzelnen Werke auf Leinwand oder Papier meinen wir, die eine Welt, die Huzulak angelegt hat, immer wieder zu entdecken. Er veranlasst den Betrachter, nach Orientierung und Kontext zu fragen. In ihrer Lesart als mehrgründiges System der Orientierung erscheint jedes neue Bild von dieser Welt als Besetzung eines Flecks auf ihrer Landkarte. Immer wieder von Neuem angelegt ist ein durchgängiger Untergrund, der seine Staubigkeit und Kargheit im übertragenen Sinne auch in der Maltechnik beweist. Die Schicht für Schicht aufgetragenen Farben sind, ihrer Deckkraft stellenweise enthoben, opak und lassen darunterliegende Farbflachen hindurch scheinen. In diesen morbiden Hintergrund legt Huculak Architekturen an, die in ihrer strengen Vertikälitat dem Horizont eine Richtung entgegensetzen. Es gibt Türen, Fenster und Räume, die sich offnen und die Sicht freigeben oder diese versperren. Meist befindet sich der Betrachter außerhalb, manchmal jedoch auch in den Räumen, die sowohl bewohnt als auch unbewohnt sein können. Als traum - oder alptraumhaft kahl und karg gestaltete Landschaften, in denen bekannte Elemente wohlüberlegt platziert und wie zu Arrangements vereint werden, ergeben sich Bühnen, auf denen die Menschen auftreten und agieren. Was fehlt, ist eine Sprache, Gesichter sind meist nur angedeutet, Kommunikation findet nur über Gesten statt. Diese sind überhöht oder reduziert und darin ebenso austariert oder spannungsreich wie die Architekturen in ihrer Setzung. Eine tatsächliche Beziehung fehlt und ist vom Betrachter herzustellen. Da stützen antike Pfeiler klare Konstruktionen. Es gibt filigrane, elegante Säulengänge und gestutzte Bäume, die in ihrer runden oder konischen Form Zierelementen aus englischen Garten oder italienischen Zypressen gleichen. Antike Skulpturen wechseln sich mit einem durch den Bildgrund fahrenden Automobil oder Strasenbahnwaggon ab. Da sind menschenleere Raume oder Figuren, deren Kleidung an Antike, Renaissance oder Antike denken lasst. Einige Titel geben zusätzlich einen vagen Hinweis auf (scheinbar) historische Ereignisse und Personen.
Zeit - und Kontextlosigkeit
Die andere, eigene Welt, die sich im Werk des Künstlers entdeckt, schlägt mit den sie umfassenden Elementen eine Brücke zwischen den Zeiten oder lässt diese ineinandergreifen, so dass sich der Betrachter nicht sicher über Wo und Wann sein kann. War der Blick in den Himmel und auf die Konstellation der Sterne immer auch eine Rückversicherung für den eigenen Standort, gibt es in den Firmanenten dieser Bildwelten keine tatsachlichen Gestirne. Nur in wenigen Bildern steht eindeutig ein Mond am Himmel. Die Tages - und Nachtzeit bleibt diffus, wenn die blaue, graue oder braune Tonalität zahlreicher Bilder ein Zwielicht erzeugt, das vom Morgengrauen und der sogenannten blauen Stunde über die Nacht bis ins Unbestimmte einer Grisaille reichen kann. Zeit wird über einzelne Motive und ihre Zusammenführung sublimiert. Und während ein Naturphänomen wie der Sonnenuntergang in der Romantik zur Metapher für die eigene verrinnende Zeit gerat, scheint sich diese Idee bei Huculak nicht in einem Motiv darzustellen, sondern sich in der materiellen Qualität der Farbe und ihres Auftrags zu konkretisieren. Sie enthüllt in der Angegriffenheit der Oberfläche eine Morbidität und eine sehr eindringliche Idee vom Verstreichen der Zeit.
Ort und Verortung
Das Territorium im Werk des Künstlers dehnt sich aus und ragt bereits in einzelnen Bildern weit in die Tiefe hinein. Davon zeugt als eine Konstante der Horizont, der in seinen Gemälden und Gouachen meist im oberen Bilddrittel angesiedelt ist und zu einem eigenen Diskurs über Ferne und Nähe führt. Erde und Himmel setzten sich in zumeist geringen farblichen Gegensätzen, in Nuancen und Schattierungen voneinander ab. Die irreale Landschaft und die in ihr sich verlierenden Menschen gerat zunächst zu einer Metapher für Ort - und Identitätslosigkeit. In manchen Werken wird die Darstellung der Landschaft zu einem Vexierspiel zwischen Perspektive und Fläche, Fern - und Aufsicht. Die flächige Malweise mit ihrer aufgerissenen, verworfenen Oberfläche, von der sich Schollen gelöst haben, von der Farbschichten abgetragen und ineinander verschleifen sind, erinnert selbst an topografische Formationen. Dieser Malgrund und mithin sein Landschaftssujet werden zum Palimpsest der von oben herab betrachtete Landschaft einer enzyklopädisch aufgefassten Welt ohne richtungsweisenden Index. Unter dieser Perspektive lässt sich das Werk Huculaks als eigene Karte auffassen. Seit der ersten Stunde ihrer Entwicklung ist die Kartografie ein Verfahren, sich die Welt zu eigen zu machen, Uberblick zu gewinnen, Gebiete abzustecken und zu definieren, indem die bekannte Welt auf eine Fläche gebannt wird. Diese Zielsetzungen entsprechen unter veränderten Vorzeichen dem Werk des Künstlers, der in Paraphrasen über unsere Wirklichkeit auf ganz neue Weise Raum und Zeit thematisiert. Seine Bildwelt stellt mit ihren fragmentarischen Elementen und ephemeren Gesten die Frage nach Sinn und Bedeutung, Materie und Seele unserer eigenen Wirklichkeit und unserer Orientierung und Identität in ihr.