EIN VERSUCH, ANHAND EINES SCHATTENS EIN DATUM ZU BERECHNEN
Łukasz Huculak

Die zeichnerische Welt von Jeremi Jędroś scheint eine besondere Ökonomie zu regieren: Aktive Bilanz wird durch die Verbindung von präzise geplanten Ausgaben mit Zufall und Verschwendung erreicht. Weite Räume der Pappe erfüllen knapp präzise ziselierte Miniaturen von menschlichen Gesichtern, Silhouetten, geometrischen Formen und Kurven, und schließlich – Ziffern oder pseudomathematischen Rechenoperationen. Sie werden begleitet von geworfenen Schatten, die diese Erscheinungen an den Papierboden festnageln. Die Ganzheit ist sowohl chaotisch, als auch asketisch, macht den Eindruck von etwas, was der Strategie, jedoch nicht eines exakt bestimmten Zieles beraubt ist. Der Autor erreicht sein Ziel mit äußerst bescheidenen Mitteln. Die uns sparsam zugeteilten Empfindungen, einzelne Piktogramme, inmitten einer weißen Wüste platziert, gewinnen an Monumentalität. Wir empfinden die eigene Winzigkeit, während wir diese Juwelierbrocken wie weite Sternbilder betrachten.
Einen ähnlichen Effekt (mit ebenso einfachen Mitteln) haben die altägyptischen Genies von land art erreicht, in hohem Maße dank dem Wüstenhintergrund und dem wesentlich inspirierenden Abgrund des ihnen direkt unzugänglichen Weltalls. Chufu, Khufu oder einfach Cheops und seine gigantische Pyramide sind für manche „nur" ein Denkmal der Eitelkeit, ein monumentales Grabmal aus dem 26.Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, für andere dagegen - ein Kompendium des esoterischen Wissens, ein gewisses mathematisches Instrument, ein „kosmischer Rechner". Hier ist eine Handvoll Beweise dafür.
Mit der Pyramide von Mykerinos, dem Breitenkreis und dem Meridian, bildet die erwähnte Pyramide ein pythagoreisches Dreieck. Der Umfang der Basis geteilt durch die doppelte Höhe gibt die Zahl π (3,1416) an. Wenn wir ihre Höhe mit einer Milliarde multiplizieren, erhalten wir die Entfernung von der Erde bis zur Sonne. Mit den benachbarten Pyramiden bildet sie ein System, welches das Aussehen des Sternbildes Orion im Jahre 10583 v. u. Z. widerspiegelt. Die Masse des innen gefundenen (schon immer leeren) Sarkophags multipliziert mit 10 hoch 15 ist mit der Masse der Erde identisch. Die Temperatur in der Grabkammer ist gleich mit einem Fünftel der Entfernung von dem Quecksilber, das zwischen dem Gefrierpunkt und dem Siedepunkt des Wassers auf dem Meeresspiegel steigt. Was den Schatten angeht, wirft ihn die Pyramide zwischen Februar und Oktober nicht. Ist es da verwunderlich, dass dieses vieldeutige und universelle Objekt zur Berechnung der Geschichte und für die Menschheit epochaler Daten benutzt wurde?
Viele Untersuchungen und Erfindungen, die von der regulären und majestätischen Form der Pyramide inspiriert wurden, überschreiten die Grenzen der eng gemeinten Wissenschaft, und verflechten sich mit den Aktivitäten aus dem Grenzbereich zwischen Magie und Kunst. 1959 versuchte Karel Drbal die Macht des Gillette-Konzerns ins Schwanken zu bringen, indem er für das „Gerät zur Schärfung von Rasierklingen Cheops" ein Patent erhalten hat. Die Amerikaner waren praktischer, sie haben die von der Pyramide erzeugten Energien für den Anbau von Getreide angewendet. Auch die Polen sind nicht passiv geblieben. „Im Jahre 1979 untersuchte Bonawentura Kochel mit der elektrometrischen Methode den Effekt der Wirkung des Innenraumes des Modells der Cheops-Pyramide auf eine physiologische Lösung. In den Untersuchungen wurde die Entstehung eines neuen Absorptionsbandes im ultravioletten Licht festgestellt. (…)."1 Was auch immer es wohl zu bedeuten vermag, erklingt es im Gleichklang mit dem Hermetismus der hieroglyphischen Arbeiten von Jędroś: Seine Zeichnungen hinterlassen in uns den unklaren Eindruck eines flüchtenden Sinnes, indem sie uns scheinbar etwas erklären. Sie könnten eine Dokumentation eines geheimnisvollen Experiments sein, etwas aus dem Grenzbereich zwischen „art" und „science", und zugleich nur das Ergebnis eines Kinderspiels. Ein Beweis für die darin steckende künstlerische Freiheit, die unmittelbar mit der Tradition des Dadaismus und des Spieles des blanken Unsinns zu assoziieren ist, sind die Versuche, die Grenzen der Disziplinen zu überschreiten: Elemente von Collagen, Falten, Risse. Ein Blatt Papier unter dem Einfluss von unterschiedlichen Kräften ist hier gewissermaßen ein Gegenstand eines physischen Versuchs. Es geht hier eher nicht darum, die Eigenschaften der dem Künstler anvertrauten Materialien zu testen, nicht um die Kraft des Grafits und die Widerstandsfähigkeit der Zellulose. Die Summe dieser Ereignisse ist formell gesehen eine Art Bilderrätsel. Eine Vermischung von Piktogrammen und illusionären Bildern, symbolhaften Zeichen mit der realistischen Schattierung, und schließlich der Rafinesse mit dem gewissen Primitivismus, all das lässt eine Assoziation mit der Kunst von Schwitters, oder vielleicht vor allem mit jener von Paul Klee entstehen. Die Welt seiner Darstellungen, an der Schnittstelle von der neoplatonischen Tradition und der kindlichen Fantasie ist zweifelsohne magisch. Die Quelle dieses geheimen, nur den Auserwählten zugänglichen, offenbarten Wissens wurde für die Antiken (als Götterbote) Hermes, als Hermes Trismegistos mit dem ägyptischen Gott Thot identifiziert. Beide Götter waren Schutzgötter der Schrift und Magie, der Esoterik, des „hermetischen" Wissens, wie auch der Hermeneutik, die sich mit dem Erklären und Verstehen beschäftigt (griechisch hermeneus bedeutet Übersetzer).
Eine Hieroglyphe und eine Zahl: Eine solche Kombination der „ägyptischen Finsternis" und der mathematischen Klarheit finden wir in den Zeichnungen von Jędroś wieder, die durch Helldunkel im Alltag verankert sind, und sich durch Zahlen auf die ideale, nicht materielle pythagoreische Welt berufen, in der die sensuellen Phänomene den Zahlenverhältnissen Platz gemacht haben.2 In einer solchen Welt gibt es selbstverständlich kein Helldunkel, denken wir daran: in der „Göttlichen Komödie" unterscheidet die Geister von den Lebendigen eben die Tatsache, dass sie – körperlos - keinen Schatten werfen. Die Pyramide ist hier, was wir schon wissen, ein besonderer Fall. Ihren Körper, mit dem geworfenen Schatten, finden wir auf einer der Zeichnungen von Jeremi wieder. Auf einer anderen dagegen etwas, was an eine andere Investition mit einer geheimnisvollen Herkunft und einem geheimnisvollen Ziel erinnert – Stonehenge, das wohl bekannteste Denkmal aus der Heimat von Darwin und Newton.
Der Schatten, eine sensuelle Sichterscheinung, von Platon in der Höhle begraben, ist uns notwendig: Er bestimmt den Raum, die Grenzen der Körper. Ein Datum, als Zahl, steht für die Welt der Logik und der Abstrakta, die nicht fassbar sind. Es ist vor allem ein Versuch, die Zeit festzuhalten. Der Zusammenhang von beiden ist unvermeidbar, und letztendlich das, was wir am erfolgreichsten mit der Kunst messen, scheint ein Quantum unserer Unkenntnis, die Summe der Verwunderung darüber, was wir nicht wissen.
Die Abstraktion, die sich mit dem Realismus vermischt, der Mimetismus mit der Metapher, regen uns dazu an, die Quellen unseres Wissens um die Realität zu betrachten: ist es ein infolge der Erfahrung errungenes oder ein in den Syllogismen und mathematischen Beweisen verborgenes Wissen? Soll man der Offenbarung oder dem Zeugnis der Sinne vertrauen?

1 www.tajemnicepiramid.w.interia.pl
2 Pythagoras kann man als den Schutzpatron des abstrakten Denkens über die Realität betrachten. Er wird am meisten mit dem Winkelmaß assoziiert, war wahrscheinlich auch Reformator der mystischen orphischen Bewegung. Er wird manchmal als einer in höchstem Maße, neben Platon, eingeweihter Gründer des Freimaurertums bezeichnet.