OPERATION AM OFFENEN KOPF, ALSO BROWNSCHE BEWEGUNG
Łukasz Huculak

Łukasz Gierlak, Student des II. Jahres Grafik an der Breslauer Kunstakademie, imponiert trotz seines jungen Alters und einer kurzen Praxis, mit der Breite seiner Möglichkeiten, der Werkstattgewandtheit, Ideenreichtum und im Endeffekt – mit der dynamischen Entwicklung. Der Autor selbst ist sich dessen bewusst, dass seine einzelnen Arbeiten auch dynamisch sind, geradezu „den Charakter des explosiven Trotyls"1 haben. Indem er sich über sich selbst so äußert‚ bringt er uns auf eine gewisse Spur.
Immanuel Nobel, der schwedische Ingenieur, von dem Bau der Häuser und Brücken völlig in Anspruch genommen, wissend, welche Vereinfachung des Baues dessen anfängliche Zerstörung ist, hat mit verschiedenen Techniken des Felsensprengens experimentiert. Er hat dabei mit der Hilfe seines Sohnes gerechnet, der, obwohl ziemlich in sich gekehrt und poetisch gesonnen, im Bereich „der Zerbröckelung der geologischen Gebilde" den Vater nicht enttäuscht hat. Die für eine epochale Entdeckung gehaltene Verbindung von Nitroglyzerin und Kieselgur, welche er 1867 gemacht hatte, war eigentlich auf die Stabilisierung von einem Stoff zurückzuführen, der einen zu explosiven Charakter aufgewiesen hatte. Das so gezähmte boshafte Nitroglyzerin hatte den männlichen Namen bekommen, indem es Dynamit 2 geworden ist. Dynamik - eine potenziell unvorhersehbare Stabilität.
Die Arbeitsmethode von Łukasz würde ich als „Zerbröckelung der zeichnerischen Gebilde" bezeichnen. Ich habe den Eindruck, dass, wenn wir tiefer in das grafische Gewebe seiner Zeichnungen eindringen, wir unter dem Grund eine permanente Unstabilität der grafischen Materie entdecken. Darin steckt etwas, was bewirkt, dass sogar seine letzten Arbeiten, transparent und klar, unruhig am Rande der (nicht nur kompositionellen) Spaltung balancieren. Seine Köpfe, meistens Selbstbildnisse, werden während einer dramatischen Metamorphose erfasst, oft während sie aus einem grafischen Zeichen in die wörtliche Realität redefiniert werden. Was explodiert hier? Abstraktion oder Realität? Das Eine entsteht auf den Trümmern des Anderen. Die Wiedererkennung hängt von einem Punkt oder Strich ab, die einmal selbstständig, neutral und repräsentativ gleichgültig, nach einer Weile gehorsam ein menschliches Porträt formen. Die einzelnen Elemente, die Teile dieses Bildes sind, wirken oft gewissermaßen unter dem Druck geheimer Kräfte und der Autor selbst ist sich vielleicht dessen nicht vollkommen bewusst, was die Folgerungen dieser Ansammlung von visuellen Elementarteilchen auf dem weißen Hintergrund sein werden. Das Interesse, welches der Prozess dieser Transformation in dem Betrachter erweckt, muss dem ähnlich sein, welches den Entdecker der Brownschen Bewegung begleitet hat. Chaotische Bewegungen der in eine Flüssigkeit eingetauchten Teilchen, ein deutlicher Beweis für das sich unvermeidlich hinter allem Weltall versteckende Chaos, erwecken nicht nur unseren Willen, sie zu ordnen, sondern auch sie zu verstehen und zu beherrschen. Wir fordern Durchsichtigkeit und Rationalität, und in den Zeichnungen von Łukasz sieht man, wie oft diese Ordnung kein integraler Bestandteil der Sache ist, sondern eine Art Aberglauben – unsere intentionale Kalkulation, projiziert auf die chaotische Visibilität (Natur). Unvorhersehbarkeit kann ein gewisses Kriterium für unsere Erkennung sein, wenn sie ihre Grenzen zieht, die Formen umzeichnet, die Stellen markiert, wo die Detailliertheit endet?
Łukasz bedient sich eines Bleistifts wie des Sprengstoffes, ohne die Folgen zu kennen, welche seine Begegnung mit einem Blatt Papier bringt. Die Verwandtschaft der grafischen Mittel mit den Sprengstoffen evoziert eine Assoziation mit Chinesen. Besonders mit dem Schaffen von Cai Guo Quiang, der das Eine mit dem Anderen wörtlich ersetzt. Grafische Effekte seiner Explosion zeigen jedoch paradox oft eine gewisse Vorhersehbarkeit, sind wiederholbar wie ein Tapetenmuster. Den Arbeiten von Gierlak näher scheinen die Tendenzen, die man in den Arbeiten polnischer Künstler der jüngsten Generation betrachten kann, politisch und gesellschaftlich aseptischen Werken von Jakub Ziółkowski, Tomek Kowalski oder Paweł Śliwiński. Ein wiedererkennbares, realistisches Motiv wird mit Hilfe von ein paar, scheinbar belanglosen, sogar peripheren, obwohl repräsentativ lesbaren Details, einem Teil einer Form oder einer Komposition aus einem abstrakten Magma ausgeführt. Die Schwierigkeit, die unserem Wahrnehmungsapparat das Bleiben auf dieser abstrakten Urebene bereitet, ist wie ein Fatum - wenn wir nur die Welt ordnen können und etwas Erkennbares schaffen, werden wir es tun. Die Mechanik dieses Prozesses erinnert an die Unabwendbarkeit von Regeln der Physik, diese dagegen begrenzen uns, wie die festgelegten Regeln der Schachzüge. Hat der Autor diese Notwendigkeit der Ergebenheit in seinem Schachzyklus gemeint? In den letzten Arbeiten von Łukasz wird die Transparenz gesteigert, nur die Köpfe gewinnen an einer klaren und wahrnehmbaren Beschreibung, einfach greifbar durch die Imitation einer bildhauerischen Oberflächenstruktur und eine deutliche Helldunkel-Modellierung. Ihre Materialität zeigt sich als eine zu schwere Last für ein einfaches Blatt Papier, die Köpfe fallen hinunter oder schweben, immer eines genügenden Haltes beraubt.
Ein großer Vorteil dieses Schaffens ist die Tatsache, dass es sich sowohl in einer bis zum Übertreiben detaillierten Bearbeitung einer Form, als auch in einer expressiven Nonchalance zeigen kann. Eine so breite Auswahl von grafischen Lösungen und Effekten scheint eine Folge des intuitiven Charakters des Schaffensprozesses und der fehlenden Vorurteile sein, was der Autor selbst betont: „Die Arbeiten sind manchmal ein Wasserfall von verstreuten Teilgedanken." So sind die Köpfe von Łukasz, so wie Sein Kopf - offen.
1 Alle Zitate stammen von Łukasz Gierlak
2 Dynamit ist im Deutschen neutral, aber im Polnischen maskulin (Anmerkung der Übersetzerin).